Eine fünfjährige neigt dazu, ihre zweijährige Schwester immer wieder solange zu triezen, bis diese weint. Dann ist sie selber irritiert und versucht ihre kleine Schwester zu trösten. Auf meine Idee: „Laden Sie Ihre Tochter ein, immer wenn sie bei sich merkt, dass sie ihre kleine Schwester ärgern will, soll sie zu Ihnen kommen und mit Ihnen kuscheln“, antworten die Eltern: „Aber das nutzt die dann doch nur aus und will ständig mit uns kuscheln!“. Darauf ich: „ Ach wissen Sie, das will ich hoffen, dass Ihre Tochter gerne Ihr Angebot annimmt. Kuscheln ist etwas schönes und erst recht mit Mama und Papa. Aber glauben Sie mir, das wird schnell wieder nachlassen, weil es Kinder mit sicherer Basis drängt, die Welt zu erobern.
Ganz bestimmt wird es zumindest in der Anfangszeit noch immer wieder dazu kommen, dass die kleine Schwester weint. Machen Sie kein Aufsehen drum, trösten Sie beide und schon geht das Leben weiter.“
Jede Medaille hat zwei Seiten und wir haben uns angewöhnt immer nur die eine zu sehen. In dem Fall, dass die arme kleine Schwester sich geärgert fühlt, sich nicht anders zu helfen weiß und wir Erwachsenen meinen, jedes Ungemach von unseren Kindern fernhalten zu müssen. Dass die kleine Schwester nebenbei lernt, auch Ungemach geht vorüber, ich kann das aushalten, es gibt Lösungen... blenden wir dabei aus. Aber tatsächlich gibt es keine bessere Zeit als die Kindheit, sich darin einzuüben, mit Erwachsenen im Rücken, die als letzte Rettung immer noch zur Verfügung stehen. Einzelkinder, die diese Lektion erst in der Pubertät oder im Erwachsenenalter lernen, haben es da viel schwerer.