Auf dieser Seite finden Sie – bunt durcheinander gewürfelt – Facetten, wie ich die Welt sehe, was Grundlagen meiner Herangehensweise sind. Sie sind noch nicht geschliffen, geschweige denn poliert. Manches davon habe ich auch für mich noch nicht zu Ende gedacht. Sie alle entstammen quasi meiner Lebenserfahrung als Vater, als Theologe, als Sozialarbeiter, als Systemiker: angeeignet und weiterentwickelt in Aus- und Fortbildungen oder herauskristallisiert in der Arbeit mit jungen Menschen und vielen mich sehr bereichernden Kolleginnen und Kollegen.
Vieles ist sicherlich sehr verkürzt dargestellt. Die enorme Kompaktheit der einzelnen Fundstücke geht leider manchmal auf Kosten der Verständlichkeit. Ich hoffe, dass trotzdem das eine oder andere zum Weiterdenken anregt.
Die Reihenfolge ist alphabetisch am ersten Buchstaben der Überschrift orientiert.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Stand April 2023
- Beziehen statt erziehen
In 30 Jahren Jugendhilfe und in der Erziehung meiner eigenen Kinder habe ich erlebt, dass – bis auf ganz wenige Ausnahmen – alle Menschen sozial anerkannt sein wollen. Sie wollen ein ganz normales Leben führen, zur Schule gehen, Geld verdienen, nützlich sein, Freunde und Freundinnen haben, lieben und geliebt werden.
In der Jugendhilfe habe ich viele junge Menschen erlebt, deren Leben sehr aus den Fugen geraten war. Ihre Fähigkeit Rücksicht zu nehmen oder respektvoll zu handeln war fast vollständig zum Erliegen gekommen. Bei den allermeisten habe ich erlebt, ganz gleich ob in einer Wohngruppe, in einer Pflegefamilie oder bei den Eltern, dass nach und nach Herz und Seele wieder zum Vorschein kommen. Ein Kernpunkt in diesem Erziehungsstil ist, dass es vor allem darum geht, was ein nächster guter Schritt ist statt darum, welche Konsequenz es für diesen oder jenen Fehltritt gibt. - Beziehung geht vor Inhalt
Im alten Griechenland wurde der Überbringer einer schlechten Botschaft getötet, ganz gleich, ob er irgendeine Verantwortung für die überbrachte Information hatte. Und auch für uns heute ist von großer Bedeutung, in welcher Beziehung wir zu der Person stehen, die uns eine Information oder eine Erkenntnis überbringt. Je besser es gelingt, dies im Alltag zu berücksichtigen, um so effektiver kann man handeln. - Es kommt nicht auf die Antwort an
Wenn Sie mit Ihrem Kind oder Jugendlichen ins Gespräch kommen wollen, scheitert das nicht selten daran, dass Sie auf Ihre Frage, Anregung oder mitgeteilte Beobachtung keine Antwort erhalten. Manchmal gibt es ein Achselzucken, manchmal ein: „Weiß ich auch nicht.“, manchmal erfolgt auch keinerlei sichtbare Reaktion. Das macht nichts. Tatsächlich ist in den meisten Fällen eine Antwort nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass Sie Ihren Gedanken formuliert haben. Und nun können Sie in Ruhe deren Wirkung abwarten.
Beharren Sie auf einer Antwort, ist die Chance groß, dass es letztendlich mehr um den Konflikt gehen wird, den sie nun miteinander bekommen, als um den Inhalt, den Sie eingebracht haben. - Fragen kostet nichts
Im pädagogischen Alltag ist es Standard, dass HelferInnen zu wissen glauben, was die Menschen, denen sie helfen wollen, brauchen oder für sie gut ist. Ganz oft kann man dabei erleben, dass sie sich durchaus bewusst sind, auf viele Fragen keine Antworten zu haben. Leider passiert es nur selten, dass das Gegenüber nach seiner Meinung gefragt oder an der Entwicklung einer Lösung oder des nächsten Schritts beteiligt wird. - Humor ist ein wesentliches Elexir in Beratung und Therapie
Bevor Menschen sich aufmachen um für sich psychologische Beratung oder Therapie zu nutzen, haben sie oft einen langen Leidensweg hinter sich, gepaart mit geringer Hoffnung, dass sie ein deutlich entspannteres Leben verdient hätten. Zudem haben viele die Idee, dass Therapie etwas Ernstes und Schweres ist.
Als Rheinländer ist es mir aber nun einmal nicht gegeben, stabil ernst zu bleiben. Und: Lachen ist gesund, macht belastbarer, aufnahmefähiger, kreativer. - Innere Bilder bestimmen das Leben
Ganz oft ist es so, dass nicht die Ereignisse an sich, sondern wie wir sie verstehen unser Leben bestimmen. Das geht bis hin zu Traumaerfahrungen: Eine Frau entsteigt nach einem Verkehrsunfall mit leichten Blessuren den Trümmern ihres PKW. Die nächsten Wochen ziehen ohne Besonderheit ins Land. Nach Wochen meint ein Ermittlungsbeamter zu ihr: „Ihnen ist schon klar, dass Sie nur um Haaresbreite schwersten Verletzungen entgangen sind?“ Erst mit diesem Satz realisiert sie die Heftigkeit des Unfalls. Daraufhin kann sie sich für lange Zeit nicht mehr ans Steuer eines Autos setzen. - Jede Medaille hat zwei Seiten
Gerade im beruflichen Alltag, aber auch in vielen Familien dreht sich der Fokus insbesondere um das, was nicht gut läuft, was nicht so funktioniert wie erwünscht. Für uns selbst, aber auch für die Menschen, denen wir hilfreich sein wollen, kann da ein Wechsel des Vorzeichens gut sein. Dann macht man sich auf die Suche nach dem Goldstück im Misthaufen, nach der anderen Seite der Medaille. Das gelingt nicht immer. Doch wenn es gelingt, kann es viel Energie für Schritte nach vorne freisetzen. - Kinder wollen sich gesehen fühlen, nicht Aufmerksamkeit
Sich gesehen fühlen ist, wie das Wort schon sagt ein Gefühl. Dieses Gefühl entsteht bei Kindern, indem Erwachsene ab der Geburt dem Bedeutung geben, was Kinder machen oder auch nur, dass sie da sind. In den ersten Monaten ist es beispielsweise die Stillung der Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst, Schlaf etc. Bei jüngeren Kindern ist es beispielsweise, sie darin zu unterstützen, ihre Gefühle wahrzunehmen und ihnen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist es beispielsweise, sich für deren Leben zu interessieren und ihnen behilflich zu sein, Ideen und Wege zu finden, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.
Aufmerksamkeit hingegen ist eine Momentaufnahme: „Der will doch nur Aufmerksamkeit.“ Bei Kindern und Jugendlichen, die häufiger scheinbar auf der Suche nach Aufmerksamkeit sind, fehlt zumeist das Gefühl, gesehen zu werden, für einen anderen Menschen Bedeutung zu haben. - Das Missverständnis ist als normal mitzudenken
Wer hat nicht schon oft den Satz gehört oder selbst auch genutzt: „Ich hab´s ihm doch gesagt!“ oder „Ich hab´s doch erklärt!“, und doch funktioniert es nicht. Je besser es mir gelingt die Möglichkeit, anders oder falsch verstanden zu werden mitzudenken und als legitime Option zu sehen, um so entspannter kann ich damit umgehen, wenn es passiert. Im Alltag haben Missverständnisse nur sehr selten wirklich gravierende Folgen. - Never ask why!
Eine sehr beliebte Frage an Kinder und Jugendliche nach Fehlverhalten ist „Warum?“. „Warum hast Du das gemacht, oder nicht gemacht?“ „Warum hast Du gelogen?“ „Warum hast Du die Hausaufgaben nicht gemacht?“ Und die weitaus häufigste Antwort darauf ist...genau: „Weiß nicht.“ oder einfach Achsel zucken. Und eigentlich war uns diese Antwort auch vorher schon klar. Also was tun?
Hilfreich ist z.B. in emotional ruhigen Zeiten mit dem jungen Menschen andere Möglichkeiten zu handeln zu entwickeln, also nicht nach der Vergangenheit zu fragen, sondern nach der Zukunft, dem nächsten guten Schritt. - Öfter mal „Und“ statt „Aber“
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie häufig wir Anmerkungen, Ergänzungen etc. auf Äußerungen anderer mit dem Wörtchen „Aber“ einleiten. Mit „Aber“ stellen wir den Wahrheitsgehalt, die Vollständigkeit der Aussage unseres Gegenübers auf den Prüfstand. Und wenn Sie das neugierig macht: Probieren Sie´s mal aus. Ersetzen Sie in Gedanken das „Aber“ in der Entgegnung Ihres Gegenübers durch ein „Und“ oder Sie lassen die Konjunktion einfach weg. Was verändert das atmosphärisch bei Ihnen? Kann es sein, dass es dann besser gelingt, auf der Sachebene zu bleiben? - Partizipation
Seit einigen Jahren ist im Kinder- und Jugendhilferecht verankert, dass Einrichtungen der stationären Jugendhilfe in ihren Konzeptionen darlegen müssen, wie sie Partizipation umsetzen. Meine Erfahrung ist, dass intensiv gelebte Partizipation nicht nur ein Bürgerrecht ist, sondern tatsächlich auch den Alltag aller erleichtert. Intensiv gelebte Partizipation in Familie und Einrichtungen sorgt nicht nur dafür, dass es deutlich weniger Missverständnisse gibt, sondern mittelfristig auch, dass sich alle mehr gesehen fühlen und folglich darum weniger kämpfen müssen. - Probleme sind Lösungen
Stellen Sie sich vor, ein Kind wird beim Stehlen von Lebensmitteln erwischt. Ladendiebstahl ist ein Problem, je nach Alter sogar eine Straftat. Vielleicht hat das Kind aus einer Laune heraus zugegriffen, vielleicht war es eine Mutprobe. Es gibt aber auch Kinder, und auch bei uns in Deutschland, die stehlen Lebensmittel, weil es in der Familie nicht genug zu essen gibt. Und sie stehlen die Lebensmittel für sich und nicht selten auch für ihre Geschwister.
Die Handlung des Kindes ist dann die Lösung für ein Problem: Hunger. Allerdings schafft das Kind mit dieser „ungelenken“ Lösung ein neues Problem: Ladendiebstahl.
Gelingt es uns, dieses problematische Verhalten des Kindes als ungelenke Lösung zu verstehen, wird es leichter, darüber ins Gespräch zu kommen und gemeinsam andere Lösungsmöglichkeiten zu finden. - Spülen ist die beste Medizin
Machen Sie das auch so: Wenn mit einem Kind oder Jugendlichen etwas wichtiges besprochen werden soll, setzt man sich gegenüber und schaut sich in die Augen. Nach meiner Erfahrung ist als Setting viel hilfreicher ein Autofahrt (nebeneinander, besser noch hintereinander sitzen) oder gemeinsam den Abwasch machen. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass man sich eben nicht in die Augen schauen muss, der Fokus nicht nur auf dem schweren Thema liegt oder man sich zwischendurch immer mal wieder ablenken kann. - Stärken sehen
Kennen Sie die Übung „Mairegen“? In der Arbeit mit Gruppen nutze ich sie gerne. Wenn sich eine Gruppe eine Zeit lang kennt, wird die Gruppe gebeten, jeweils zu einem Gruppenmitglied die Stärken zu benennen, die man wahrgenommen hat. Diese werden auf ein Flip-Chart-Blatt untereinander aufgeschrieben. Und dann reihum.
Diese Übung habe ich häufiger in Männerseminaren genutzt. Sehr gemischte Gruppen in Alter, sexueller Orientierung, Bildung, Berufslaufbahn etc. Jedes Mal, wenn ich die Übung erklärt habe, entstand eine angespannte Stille: „Ein ganzes Blatt mit meinen Stärken? Wie soll sich das denn füllen?“ Nach einiger Zeit meldete sich der erste Freiwillige und dann ging´s los. Erst zaghaft wurden die ersten Stärken benannt, doch Übung macht den Meister und schließlich war zu jedem Teilnehmer ein ganzes Blatt gefüllt.
Jeder Einzelne war danach überwältigt von dieser Rückmeldung durch die anderen Teilnehmer, auch die, die im eigenen Erleben privat und beruflich Erfolgsgeschichten schrieben. Und dieses Feed-back zu geben ist nur eine Frage der Übung. So wie vielleicht jedeR von uns nach kurzer Zeit kritische Punkte bei Menschen, die wir eben kennengelernt haben benennen kann, können wir dies auch mit positiven, wenn wir uns darin einüben. - Tabus ziehen viel Energie; unmerklich
Es gibt mindestens zwei Arten von Tabus: Tabus zu Themen wie Tod, Trauer oder Glaube. Und so lange davon niemand persönlich betroffen ist, können alle einigermaßen gut mit diesen Tabus leben. Und es gibt Tabus zu persönlichen Themen wie Suchterkrankungen, familiäre Krisen oder Gesundheit. Manchmal weiß nur einer, manchmal mehrere davon, es ist nicht besprechbar und darf möglichst nicht nach außen dringen. Und diese beiden Aspekte: „Ich kann mich nicht mitteilen.“, und: „Ich muss ein Geheimnis hüten.“, kosten Energie.
Im Alltag ist das oft nicht spürbar. Wir haben uns an diese Anstrengung gewöhnt wie Ausdauersportler an eine Stunde joggen. Macht der das regelmäßig, nimmt auch er die Anstrengung nicht mehr wahr. Der Unterschied ist leider: Der Ausdauersportler baut Kondition auf und die bereichert sein Leben. Tabus saugen im Hintergrund unsere Energie und ziehen uns mehr und mehr den Stecker. - Verlässlichkeit statt Konsequenz
Einer der am meisten benutzte Begriff in der sozialpädagogischen Ausbildung und in pädagogischen Ratgebern ist Konsequenz. In mehreren Fortbildungen angehender ErzieherInnen habe ich die Frage gestellt, was sie denken, was traumatisierten jungen Menschen hilft, ihren Alltag gut zu bewältigen. Nicht einmal wurde „Konsequenz“ genannt.
Tatsächlich brauchen junge Menschen Erwachsene, die verlässlich sind. Menschen, die einen Standpunkt haben, stabil sind, sich selber bewusst und vor allem: die da sind, wenn die Not am größten ist. Verlässlichkeit hat etwas, dem jeweiligen Alter des jungen Menschen entsprechend Umarmendes. Bei Gelingendem und Misslingendem ist der Erwachsene auch immer irgendwie Teil dessen.
Konsequenz hingegen hat etwas Ausgrenzendes. Es schafft eine Art unsichtbare Wand zwischen mir und dem jungen Menschen. Es trennt klar zwischen dem jungen Menschen, der erzogen werden muss, der etwas falsch gemacht hat und mir, dem Erwachsenen, der vermeintlich für das Geschehene keine Verantwortung trägt.